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Situation von Mitgliedern der LGBTIQ-Community

Natalia Sarata
Antidiskriminierungstrainerin
Stiftung Raum für Frauen, Gesellschaft für Antidiskriminierende Bildungsarbeit

Warum sprechen wir über LGBTQI-Personen, wenn wir über Vielfalt sprechen?

Heterosexuelle Personen sind solche, die emotionale und sexuelle Beziehungen mit Personen des anderen Geschlechts eingehen. Dagegen ist „LGBTQI” eine Abkürzung für Personen, die sich nicht als heterosexuell identifizieren: (L)esben, (G) Schwule [im Englischen steht der Buchstabe G für gays], (B)isexuelle, (T)ranssexuelle und (I)ntersexuelle (d. h. diejenigen, die mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren werden) und auch (Q)ueere (also solche, die sich weder als heterosexuell noch als LGBT identifizieren – z. B. nichtbinäre Personen, die sich aus biologischen Gründen und/oder eigener Wahl nicht zur Gruppe der Frauen oder Männer zählen). Schätzungsweise sind etwa 5 bis 10% einer jeden Gesellschaft nicht-heterosexuelle Personen, darunter 0,018% intersexuelle Menschen und auf 100.000 Menschen kommen 5 transsexuelle Personen.

Man könnte meinen, die sexuelle Orientierung (LGB) oder Geschlechtsidentität (T) seien Privatsache. In unseren Gesellschaften geht man jedoch oft ungefragt von einer Heterosexualität des Gegenübers aus und es lässt sich leicht vergessen, dass nicht alle am Austausch beteiligten Personen heterosexuell sind und z. B. unser Kollege aus dem Organisationsteam einen Ehemann und keine Ehefrau hat, die Eltern eines teilnehmenden Mädchens zwei Frauen sind und die Person, die wir mit einem weiblichen Vornamen ansprechen, in Wirklichkeit ein Transjunge ist.

Homosexuelle Personen sehen sich mit Homophobie konfrontiert, d. h. mit Abneigung, Angst und manchmal auch Gewalt – Handlungen, die aus Unwissen und Angst vor Andersartigkeit resultieren. Transidente Menschen sind Personen, deren Körper männliche Eigenschaften haben, sie sich aber konsequent und gleichbleibend als Frauen identifizieren; oder solche, die sich als Männer identifizieren, bei der Geburt aber dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wurden. Sie sind von Transphobie betroffen – der Angst bzw. Abneigung gegenüber transidenten Menschen. Allerdings können solche Personen – Transmädchen oder Transjungen – auch in unseren Gruppen sein. Es ist wichtig, dass sie sich während des Austausches sicher fühlen, unabhängig davon, ob sie aus Polen kommen – wo grundsätzliche Fragen der Transidentität rechtlich ungeregelt bleiben – oder aus Deutschland, wo es rechtliche Regelungen gibt und das gesellschaftliche Bewusstsein um Geschlechtervorurteile, Homophobie und Transphobie zwar größer, aber immer noch nicht ausreichend ist.


Die Situation von LGBTQI-Personen in Deutschland und Polen

Die Akzeptanz für LGBTQI-Personen variiert je nachdem, ob wir über die offeneren Bewohner/-innen Warschaus oder Berlins sprechen oder über die konservativeren Bewohner/-innen Bayerns oder Podlasiens. Das sind natürlich nur ganz einfache Statistiken. Wichtig ist eine respektvolle Einstellung anderen Menschen gegenüber, die auf keine bestimmten Orte eingeschränkt ist. Nichtsdestotrotz ist die Situation von LGBTQI-Personen in Deutschland anerkannt und gesetzlich geregelt, in Polen dagegen nicht.


In Deutschland akzeptieren ca. 87% der Bevölkerung nicht-heterosexuelle Menschen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft (11% lehnen dies ab). In Polen sind es nur 42% (bei gleichzeitig hoher Ablehnungsrate von 46%). (vgl. Daten auf der Internetseite Equaldex (auf Englisch) von 2013).

Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Polen keine gesetzliche Grundlage, auf der LGBTQI-Personen Sicherheit und Rechtsschutz zustehen würde. Es gibt z. B. kein Gesetz, das Hassrede gegen Lesben und Schwule verbietet (obgleich sie durch das Gesetz gegen Hassrede aufgrund von Religion, Hautfarbe, ethnischer und nationaler Zugehörigkeit oder Behinderung geschützt sind). Es fehlen Schutzmechanismen vor der Gewalt, der sie sich aufgrund der in der polnischen Gesellschaft weit verbreiteten Homophobie ausgesetzt sehen. Vor allem die Schule ist ein Ort, wo LGBTQI-Personen im Alter zwischen 13-19 Jahren Gewalt erleben (meistens verbale Gewalt) und dies nicht nur in den schulischen Räumlichkeiten, sondern auch in der virtuellen Welt. Es werden Selbstmordversuche und Selbstmorde junger Menschen aufgrund der gesellschaftlichen Ablehnung verzeichnet. Die gesellschaftliche bzw. im familiären Kreis erfahrene Homophobie löst bei fast 70% der LGBTQI-Jugendlichen Selbstmordgedanken aus (in Deutschland sind es über 50%1), fast 50% der Jugendlichen äußern Depressionssymptome, über 70% der nicht-heterosexuellen Schüler/-innen und Studierenden verbergen ihre sexuelle Orientierung (in Deutschland sind es 66%) und fast 29% der LGBTQI-Personen leiden unter Depressionen (wobei es im Vergleich 5% der Gesamtgesellschaft betrifft2 und in Deutschland über 15%).

Auch in Deutschland – trotz des Rechtsschutzes und ständig wachsender sozialer Toleranz gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – fühlen sich über 80% der LGBTQI-Jugendlichen diskriminiert; am stärksten sind davon transidente Personen betroffen.3

In Polen haben nicht-heterosexuelle Personen kein Recht auf eine eingetragene Lebenspartnerschaft bzw. Ehe mit der gleichgeschlechtlichen Person, die sie lieben und im Ausland (z. B. in Deutschland) geschlossene Ehen besitzen in Polen keine Rechtskraft. Sie sind außerdem von der Möglichkeit zur Adoption ausgeschlossen. In Deutschland dagegen sind die Rechte von LGBTQI-Personen gesetzlich festgeschrieben. Lesben und Schwule haben das Recht zu heiraten, als Ehepartner zu erben, Zugang zu medizinischen Informationen über die Gesundheit ihres Partners zu bekommen und Kinder zu adoptieren. Der Staat erkennt die in anderen Ländern geschlossenen Ehen seiner Bürgerinnen und Bürger an. In Deutschland gibt es etwa 95.000 gleichgeschlechtliche Haushalte und etwa 14.000 Kinder werden in Regenbogenfamilien großgezogen (Angaben aus dem Jahre 20164).

Darüber hinaus wurde in Deutschland im Dezember 2018 für intergeschlechtliche Personen, die biologische Eigenschaften des weiblichen und des männlichen Geschlechtes haben, die dritte Geschlechtsoption „divers” eingeführt.

In Polen sind intergeschlechtliche Personen und ihre Situation gesetzlich nicht definiert und die von ihnen initiierte soziale Bewegung befindet sich erst in der Formationsphase.5


Vorurteile verhindern eine Wertschätzung von Vielfalt

Die rechtliche und soziale Lage von LGBTQI-Personen kann während eines Austausches zutage treten, etwa dadurch dass eine Beziehung zwischen zwei Jungen oder zwei Mädchen in einer polnischen Schule öfter als in Deutschland als etwas Ungewöhnliches und Unerwünschtes wahrgenommen werden kann. Außerdem können die Teilnehmenden in ihrer Familie oder in ihrem Freundeskreis Personen haben, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben.

Während der Planung einer Jugendbegegnung sollte darauf geachtet werden, dass sich alle Teilnehmenden respektiert und in ihrer Vielfalt sicher fühlen:

  • Zu Beginn der Arbeit mit Jugendlichen ist es gut, jede Person danach zu fragen, wie sie angesprochen werden möchte – welchen Namen, Spitznamen oder welches Pseudonym wir nutzen sollen. Dies kann während des Kennenlernens passieren, während sich die Austauschteilnehmenden miteinander integrieren. Auch wenn man eine andere als die erwartete Antwort erhält, muss die Wahl des Gegenüber (und auch der Mut, sie auszudrücken) respektiert und diese Person so angesprochen werden, wie sie es sich wünscht (und auch der richtige Artikel verwendet werden). Selbst wenn die Person dem Aussehen nach als Mädchen identifiziert wird, bedeutet dies nicht automatisch, dass diese Person einen weiblichen Namen verwendet. Würde man sie mit dem weiblichen Personalpronomen ansprechen („ihrer Meinung nach”, „sie sagte”), wäre dies misgendering.
  • Vor dem Projekt sollte man das eigene Wissen über Stereotype, Vorurteile und Tatsachen über sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten ergänzen und zugleich die Jugendlichen bei diesem Prozess unterstützen. Sie sollten wissen, wie man andere anspricht und welche Aspekte der öffentlichen Debatte über LGBTQI-Personen Tatsachen sind und welche nicht. Da LGBTQI-Personen nicht nur der deutschen Gruppen angehören, sollte besonders darauf geachtet werden, dass sich die LGBTQI-Personen aus beiden Länder während des Treffens sicher und respektiert fühlen.
  • Während des Austausches sollte man auf alle „Witze”, Spottnamen und anderes Verhalten achten und entsprechend darauf reagieren. Ein entschlossenes Auftreten der Erwachsenen gegen Vorurteile und Diskriminierung hilft den Jugendlichen eine respektvolle Haltung gegenüber anderen zu entwickeln und trägt zu einem Gefühl der Sicherheit bei denen bei, die von den Witzen betroffen sind. Immer öfter werden in polnischen Schulen Aktionen (z.B. der Regenbogenfreitag (auf Polnisch)) organisiert, die zeigen sollen, dass jede Schülerin und jeder Schüler unabhängig von der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität das Recht hat, sich sicher zu fühlen, auf Unterstützung zu zählen und gerne in die Schule zu gehen. In Deutschland gibt es keine bundesweiten Schulaktionen, dafür bietet aber z. B. die Organisation Abqueer den Schulen schon seit 1990 Projekte zum Thema Gleichheit an. Sie organisiert jährlich ca. 80 solcher Projekte.

Materialien auf Deutsch:

Materialien auf Polnisch →

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