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Situation von Geflüchteten

Klaus Waiditschka
Jugendbildung und Sozialarbeit e. V.

Mitteleuropa ist seit jeher von Wanderungsbewegungen geprägt. Solche Wanderungen gab es auch zwischen Polen und Deutschland, teils aufgrund eigener, freier Entscheidung, aber auch erzwungenermaßen als eine Folge des Krieges. In den letzten Jahre haben wir erlebt, dass immer mehr Menschen aus weiter entfernten Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt in unseren Ländern Schutz suchen; insbesondere Deutschland hat eine große Zahl solcher Flüchtlinge aufgenommen. Diese Menschen, ob sie nur vorübergehend oder dauerhaft hier leben, sind Teil unserer Gesellschaft und nehmen an allen Aktivitäten von Schulen und Vereinen teil; Kinder und Jugendliche also auch an internationalen Jugendbegegnungen.

Aufnahme und Herkunftsländer von Flüchtlingen (Daten von 2016, basierend auf der Anzahl der in diesem Jahr gestellten Anträge)

in Polen in Deutschland
insgesamt: 9.798 insgesamt: 722.303
aus Russland: 7.488 aus Syrien: 266.250
aus Tadschikistan: 835 aus Afghanistan: 127.012
aus der Ukraine: 589 aus dem Irak: 96.116
aus Armenien: 321 aus dem Iran: 26.426

Gleichzeitig haben 233 Polen im Ausland einen Asylantrag gestellt (überwiegend in USA, Kanada und im Vereinigten Königreich). 66 Deutsche haben im Ausland einen Asylantrag gestellt (überwiegend USA, Australien und Kanada).

Der Prozentsatz der Migranten (nicht nur Geflüchtete, sondern auch Arbeitsmigranten, ausländische Studierende, etc.) an der Gesamtbevölkerung beträgt in Polen ca. 0,6%, in Deutschland ca. 12% (Daten von 2015).

Quelle: Internetseite des Projekts laenderdaten.info.

Geflüchtete Kinder und Jugendliche sind zuallererst Kinder und Jugendliche, wie alle anderen. Aber sie sind besonders verletzlich, weil sie in einer Ausnahmesituation leben. Viele von ihnen haben Erfahrungen von massiven Gewaltsituationen (Krieg, Zerstörung, Massentötungen, Verlust von Familienangehörigen, usw.), entweder im Ursprungsland oder im Verlauf ihrer Flucht. Ihre Schullaufbahn und Ausbildung wurde für mehrere Wochen oder Monate, manchmal auch für Jahre, unterbrochen und sie sprechen bei der Ankunft oft nicht die Sprache der Aufnahmegesellschaften.

Kinder und Jugendliche, die ohne erwachsene Familienangehörige ihr Heimatland verlassen mussten, bilden eine besondere Gruppe innerhalb der Geflüchteten. Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) fehlen der Schutz und die Begleitung im Erwachsenenwerden, die eine Familie normalerweise bieten sollte. Sie sorgen sich auch um Familienangehörige, die sie in höchster Gefahr zurück lassen mussten. Sie vermissen ein grundlegendes Sicherheitsgefühl und sind manchmal traumatisiert.

Die Bearbeitung von Traumata muss Fachleuten (u.a. Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen) überlassen werden, aber die Einbeziehung in die verschiedenen Formen der Jugendarbeit kann die Resilienz1 geflüchteter Kinder und Jugendlicher stärken und auf diese Weise dazu beitragen, dass sie mit ihrer Situation besser zurecht kommen können. Spiel, Sport und Freizeitaktivitäten, die Möglichkeit zur Ausübung ihrer Religion, und die Teambildung mit einheimischen Jugendlichen sollten nicht unterschätzt werden, wenn es um das Wiedergewinnen von Selbstachtung und innerer Stärke sowie den Abbau von Stresssymptomen geht.


Besondere Herausforderungen für deutsch-polnische Jugendbegegnungen

Geflüchtete Kinder und Jugendliche erhöhen als Teilnehmende an einer deutsch-polnischen Jugendbegegnung die kulturelle Vielfalt in der Gruppe. Erfahrene Gruppenleiter/-innen von internationalen Jugendbegegnungen sind Expertinnen und Experten in interkulturellem Lernen, was eine gute Basis für die Inklusion von Geflüchteten in solchen Programmen ist. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, Menschen mit eigener Fluchterfahrung bzw. biografischen Wurzeln in der Herkunftskultur der Geflüchteten in das Team der Begegnung aufzunehmen, weil solche Teamer/-innen die besonderen Bedürfnisse der geflüchteten TN leichter erkennen und als Kulturvermittler/-innen besser bearbeiten können.

Kinder und Jugendliche lernen eine Fremdsprache leichter und schneller als Erwachsene; dennoch ist davon auszugehen, dass – insbesondere in den ersten zwei Jahren nach Ankunft in der Aufnahmegesellschaft – das Hörverstehen und die sprachliche Ausdrucksfähigkeit in Deutsch bzw. Polnisch der geflüchteten Kinder und Jugendlichen deutlich eingeschränkt ist. Diese Sprachen bleiben auch darüber hinaus Fremdsprachen. Während sich polnische und deutsche TN oftmals auf Englisch verständigen können, sofern sie nicht die Sprache des Partnerlandes erlernen, fällt auch Englisch als Mittlersprache bei vielen geflüchteten Kindern und Jugendlichen (je nach Herkunftsland, z. B. Afghanistan oder arabische Länder) ganz oder überwiegend aus. Sie sind auch meist nicht in der Lage, zwei Fremdsprachen gleichzeitig zu lernen und konzentrieren sich dann auf die Sprache des Aufnahmelandes. Dies bedeutet für die Programmgestaltung einer Begegnung, dass sie hauptsächlich interaktive und nonverbale bzw. visuelle Mittel und Methoden verwenden und das Erfordernis der sprachlichen Kommunikation möglichst gering halten sollte; in solchen Situationen kann auch das Einüben und Verwenden von „leichter Sprache“2 für alle hilfreich sein.

Die Aufnahme von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in eine Begegnungsgruppe erhöht auch die religiöse Vielfalt. Dabei ist es jedoch eine falsche Annahme, dass es sich immer um muslimische Religionsangehörige handeln muss; gerade Christinnen und Christen und Angehörige anderer religiöser Minderheiten (z.B. Jesiden, Drusen) waren in den vergangenen Jahren in Syrien und im Irak besonders gefährdete und verfolgte Bevölkerungsgruppen und gehören deshalb überproportional zur Gruppe der Geflüchteten. Zum Umgang mit unterschiedlicher Religiosität und Glaubenspraxis auf internationalen Jugendbegegnungen beachten Sie bitte den Artikel „Situation von Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit und Konfessionslosen“.

Eine weitere Herausforderung besteht in rechtlicher Hinsicht: während es bei einer Begegnung im Aufenthaltsland der Geflüchteten keine rechtlichen Probleme gibt und sie genauso wie alle anderen Kinder und Jugendlichen behandelt werden, sind bei einer Begegnung im Partnerland einige Besonderheiten zu beachten. Hat der/die Teilnehmer/-in eine Aufenthaltserlaubnis, sind Maßnahmen im EU-Ausland in der Regel unproblematisch. Anders verhält es sich, wenn lediglich eine Aufenthaltsgestattung vorliegt, denn sie berechtigt nicht zum Grenzübertritt. Auch geduldeten Kindern und Jugendlichen ist es grundsätzlich nicht gestattet, sich ins Ausland zu begeben. Allerdings können die Ausländerbehörden im individuellen Fall eine Ausnahme machen. Zu diesem Zweck wird von der Ausländerbehörde auf Antrag dokumentiert, dass die Person wieder einreisen darf. Ganz allgemein kann man sagen, dass solche Anträge beim schulischen Austausch eher genehmigt werden, insbesondere wenn eine Schulklasse gemeinsam zum Austausch fährt, weil es dann das Argument gibt, dass kein Schüler und keine Schülerin von einer Aktivität der Klasse ausgeschlossen werden soll. Schwieriger ist es beim außerschulischen Austausch, eine Genehmigung zu bekommen, weil das ja eine individuelle und freiwillige Teilnahme ist. Hier sollte das Gespräch mit der Ausländerbehörde gesucht werden. In diesem Rahmen sollte dann auch geklärt werden, ob zusätzlicher Versicherungsschutz benötigt wird und wie dieser zu erhalten ist, evtl. muss eine extra Auslands-Krankenversicherung abgeschlossen werden.


Methoden zur Einbeziehung von Geflüchteten

Es gibt keine spezifischen Methoden, um Geflüchtete in die Gruppe einer internationalen Begegnung zu integrieren, denn geflüchtete Kinder und Jugendliche sind wie alle anderen auch. Methoden des interkulturellen Lernens (z. B. im Methodenhandbuch des DPJW oder dem T-Kit Nr. 4 des Europarates)3, wie sie bei deutsch-polnischen Jugendbegegnungen sowieso Anwendung finden, sind geeignet, wenn dabei eine Sensibilität für die größere kulturelle Vielfalt vorhanden ist. Interkulturelles Lernen ist dann ein Instrument, um die Komplexität der Welt von heute besser zu bewältigen, indem wir andere und uns selbst in der Begegnungsgruppe ein wenig besser verstehen.

Geflüchtete zögern oft, zumal bei einem noch laufenden Asylverfahren, über die unmittelbaren und individuellen Gründe, die zu ihrer Flucht geführt haben, über ihren Fluchtweg und Erfahrungen während der Flucht in der Öffentlichkeit zu sprechen (und auch die Begegnungsgruppe muss in dieser Hinsicht als Öffentlichkeit bezeichnet werden). Das kann rechtliche Gründe haben, weil solche Informationen das Anerkennungsverfahren als Flüchtlinge beeinflussen können, das hat oft aber auch den Grund, dass es ihnen emotional schwer fällt, Fragen nach Fluchtgründen und Fluchterfahrungen zu beantworten, denn diese reißen Wunden auf, stürzen sie in ein Gefühlschaos oder lösen eine Blockade aus. Gespräche über diese Themen brauchen auf jeden Fall einen geschützten Rahmen und eine große Vertrauensbasis, die bei solchen kurzzeitpädaogigschen Maßnahmen wie einer Jugendbegegnung nicht immer gegeben sind. Soll dies thematisiert werden, müssen die Geflüchteten in jedem Fall vorher nach ihrer Bereitschaft gefragt werden, sich dazu zu äußern, und ihre persönlichen Grenzen müssen respektiert werden.

  • 1Der Begriff Resilienz bezeichnet allgemein die Fähigkeit des Menschen, außergewöhnliche Anforderungen und schwierige Situationen ohne negative Folgen für die psychische Gesundheit zu bewältigen.
  • 2Die leichte Sprache ist eine speziell geregelte einfache Sprache. Die sprachliche Ausdrucksweise zielt dabei auf die besonders leichte Verständlichkeit. Das Regelwerk wird von dem seit 2006 bestehenden Netzwerk Leichte Sprache (Verein seit 2013) herausgegeben.
  • 3Hauff, Steffen / Hülsmann, Kathrina / Krasowska, Natalia / Liedtke, Hannah-Maria / Rösch, Judith M. / Waiditschka, Klaus: Das hat Methode! Praxis-Handbuch für den deutsch-polnischen Jugendaustausch (PDF), DPJW, Warschau / Potsdam 2018 oder JUGEND für Europa. Deutsche Agentur für das EU-Aktionsprogramm JUGEND (Hrsg.): T-Kit 4: Interkulturelles Lernen, Bonn.
  • 4ICL = Intercultural Learning (interkulturelles Lernen).

Materialien auf Deutsch:

Materialien auf Englisch:

Materialien auf Polnisch →

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